Opel Rekord A 2.6 L

 

erschienen in der Auto Motor Sport vom 17.10.1964

Wir fuhren den Opel Rekord Sechszylinder

Die Zukunft des Großserienautos liegt im Baukasten. Baut man in ein und dieselbe Karosse verschiedene Motoren ein, dann entstehen Autos unterschiedlichen Charakters und unterschiedlicher Preislage.

Fiat zum Beispiel baut das gleiche Auto als 1500, 1800 und 2300, Mercedes überbrückt mit einer Grundkonstruktion eine Preisspanne von DM 10.000,-- bis DM 25.000,--.

Obwohl die Baukastenmethoden in Amerika zu großer Virtuosität entwickelt wurden - man erhöhte unter Verwendung elektronischer Steuerungsapparate ständig die Zahl der Motor- und Ausstattungsvarianten - hat Opel bisher wenig Gebrauch davon gemacht. Bis vor wenigen Jahren baute man in Rüsselsheim überhaupt nur zwei Modelle: den 1,5-Liter Rekord und den 2,5-Liter Kapitän. 1,7-Liter-Motor, Rekord-Coupé und Kadett kamen erst vor kürzerer Zeit hinzu.

Im Frühjahr 1964 wurde dann eine regelrechte Baukastenserie angekündigt: Kapitän, Admiral, Diplomat. Opel hatte sich nie den Luxus eines Achtzylindermodells, das vermutlich keine großen Stückzahlen erreichen wird, erlaubt, wenn nicht die Chance vorhanden gewesen wäre, in einen gegebenen Wagen einen gegebenen Motor einzubauen, nämlich den 4,6-Liter Chevrolet.

Trotz diesem Schritt zur Ablösung der Typeneinheit war es eine Überraschung, als der Sechszylinder-Rekord angekündigt wurde. Denn der Sprung vom 1,7-Liter Vierzylinder zum 2,6-Liter Sechszylinder ist doch ziemlich groß. Man darf annehmen, daß der von Ford geplante preisgünstige Sechszylinder 20m den Opel-Entschluß beschleunigt hat.

Elastisch und Schnell

Es ist nicht zu übersehen, daß die Kombination des Opel Rekord  mit dem Motor des Kapitän improvisiert wurde. Um den Motor unter der Haube unterzubringen, mußte man den Kühler an die Seite verlegen.

Gewicht und Leistung des Kapitän-Motors liegen erheblich über den seitherigen Rekord-Größenordnungen.

Das macht aber die Sache zugleich auch reizvoll: schon auf dem Papier läßt sich ausrechnen, daß der Rekord mit diesem Motor ein außerordentlich schnelles und temperamentvolles Fahrzeug sein und daß sich bei dem geringeren Gesamtgewicht die Elastizität des Motors noch angenehmer auswirken muß als beim Kapitän.

Einen so großen Motor in einem so leichten Wagen hat es in Deutschland lange nicht gegeben.

Der praktische Eindruck bestätigt diese Überlegungen. Der Motor läuft leise und ruhig wie im Kapitän und bringt den Wagen auch bei niedrigen Drehzahlen spielend von der Stelle.

Im 2. Gang kann man bis zur Schrittgeschwindigkeit heruntergehen, im 3.Gang bis unter 20 km/h, im 4.Gang an die 30 km/h, und dabei läßt sich der Wagen weich und willig beschleunigen. Beim vollen Ausnutzen der Leistung ist er so schnell, daß man damit dem Kapitän mühelos davonfahren kann: auf 100 km/h beschleunigt er in 12,8 Sekunden (Kapitän 14,4 Sekunden), und in der Höchstgeschwindigkeit erreichte unser Testwagen 167,2 km/h (Kapitän 161 km/h).

Mit diesen Fahrleistungen ist der Sechszylinder-Rekord nicht nur allen anderen Opel-Modellen mit Ausnahme des Diplomat, sondern auch dem Ford 20m und 20mTS, dem BMW 1800 und sogar dem Mercedes 220 S überlegen.

Besonders die Fahrer des 220 S sind sehr erstaunt, wenn ihnen ein "gewöhnlicher Rekord" beim Beschleunigen und auf freier Autobahn davonzieht. Man kann sich im oberen Geschwindigkeitsbereich bewegen, ohne daß man das Gefühl hat, es würde dem Wagen zuviel zugemutet - auch bei Höchstgeschwindigkeit bleibt der Motor noch relativ leise.

Karosserie und Fahrwerk erweisen sich hohem Dauertempo als gut gewachsen. Dafür sorgen die serienmäßig montierten Dunlop-Gürtelreifen als auch die Unterteilung der Kardanwelle, die keine störenden Vibrationen aufkommen läßt.

Trotz seiner hervorragenden Fahrleistungen hat der Wagen keinen ausgesprochen sportlichen Charakter. Daß der Motor schon eine betagte Konstruktion ist, merkt man an dem nach oben fühlbar begrenzten Drehzahlbereich: bei etwa 5.000 U/min läßt die Leistung nach, und die Ventile beginnen hörbar zu werden.

Dank der sehr langen Hinterachsübersetzung von 3,2:1 kommt man aber mit dieser Drehzahl ziemlich weit: sie reicht im 2.Gang bis 80 km/h, im 3.Gang für über 125 km/h. Mit diesen Gangbereichen ist der Sechszylinder-Rekord im Verkehr ein überlegenes Auto. Man kann stets schnell und sicher überholen, und Steigungen sind bei dem hohen Drehmoment und seinem günstigen Verhältnis zum Gewicht ohnehin kein Problem.

Mancher würde vielleicht angesichts des großen Hubraums einen sehr hohen Verbrauch erwarten, aber es zeigt sich hier wieder einmal, daß der Verbrauch weniger vom Hubraum, als von der Fahrleistung abhängig ist - also davon, welches Gewicht mit welcher Geschwindigkeit transportiert wird.

Beim vollen Ausfahren auf der Autobahn mit einem Durchschnitt von 136 km/h kamen wir auf einen Höchstwert von 15,1 Liter/100 km, blieben aber normalerweise, auch im Kurzstreckenverkehr darunter und buchten mit 12,2 Liter/100 km einen Testverbrauch, der bei leistungsmäßig gleichwertigen Vierzylindermotoren kleineren Hubraums auch herauskommen würde. Die Leistung muß also, wenn man sie ausnutzt, auch bezahlt werden. Der relativ große Hubraum macht sich nur im Steuersatz nachteilig bemerkbar.

Das Übrige: keine Offenbarung

In den übrigen Eigenschaften des Wagens darf man keine Offenbarung erwarten, denn es handelt sich ja um einen im Prinzip unveränderten Rekord. Das höhere Gewicht des Motors hat leider keine Verbesserung des Fahrkomforts mit sich gebracht, die Federung ist ebenso hart und unkultiviert wie beim Vierzylinder. Besonders unangenehm ist die geringe Federwirkung beim langsamen Fahren (unter 50 km/h), wo jede Bodenwelle in einer abrupten Vertikalbewegung des Aufbaus fühlbar wird.

Im Fahrkomfort rangiert der Opel Rekord auch mit Sechszylindermotor innerhalb seiner Preisklasse weit unten.

Die Handlichkeit hat durch den Einbau des schweren Motors etwas gelitten, der Wagen läßt sich nicht so leicht lenken wie der Vierzylinder. Da auch das Getriebe (serienmäßig 4-Gang-Knüppelschaltung) recht schwer zu schalten ist, verlangt der Wagen mehr Bedienkräfte, als heute üblich ist.

Damen werden an ihm keine Freude haben, er ist ein ausgeprägt männliches Auto. Erleichterung könnte hier die Automatik bringen, die jedoch für den Rekord 6 nicht lieferbar ist.

Kupplung und Bremse erfordern wenig Bedienungskraft, die Bremsen (serienmäßig vordere Scheibenbremsen mit Verstärker) erwiesen sich allerdings als der hohen Leistung des Motors nicht ganz gewachsen.

Bei unserer Bremsmessung überstanden sie schon die erste Bremsung aus hoher Geschwindigkeit auf einem Gefälle nicht ohne Fading.

Die Bremsen ließen bei hoher Beanspruchung auf einem Testgefälle in der Wirkung stark nach. Die Verzögerung war schlechter als bei kalter Bremse.

Bei normaler Beanspruchung war an Wirkung und Gleichmäßigkeit nichts auszusetzen.

Die Fahreigenschaften sind durchschnittlich. Auf schlechter Straße werden sie davon beeinträchtigt, daß die Hinterachse um so mehr zum Springen neigt, je mehr sie die beträchtliche Vortriebskraft des Motors zu übertragen hat.

In Kurven verhält sich der Wagen leicht untersteuernd und kann auf ebener Fahrbahn sportwagenmäßg schnell durch Kurven gefahren werden, wobei sich die Gürtelreifen positiv auswirken.

Auf nasser Fahrbahn ist trotzdem Behutsamkeit ratsam: in engen Kurven, besonders abwärts, können die Vorderräder nach außen schieben, und in schnellen Kurven kam es bisweilen vor, daß die Hinterachse ziemlich plötzlich seitlich ausbrach, was mit Gaswegnehmen und Gegenlenken korrigiert werden mußte.

Vermutlich ist der Rekord 6 in der jetzigen Form eine Kompromißlösung, die Opel einen Platz in der Preisklasse zwischen DM 8.000,-- und DM 10.000,-- sichern soll, bis die in Entwicklung befindlichen moderneren Motoren und Fahrwerke auf den Markt kommen. Er hat den Vorzug hoher Leistung und Elastizität, aber es fehlt ihm zweifellos noch die Abrundung, die zu einem guten und erfolgreichen Automodell gehört.

Im Vergleich zum  20m von Ford ist er stärker, aber auch teurer, und für die im Fahrwerk kultivierteren Modelle von BMW, Peugeot und Mercedes bedeutet er in der jetzigen Form noch keine ernsthafte Konkurrenz. Aber er ist ein neuer Beweis dafür, daß die Großen auf dem Markt in ihrem Programm künftig keine Lücken mehr dulden werden.