Opel Diplomat B 2800 SH / 2800 E
Erschienen in der Auto Motor Sport vom 20.07.1977
Verkannte Größe
Im Gegensatz zu den Modellen Kadett, Ascona und Rekord, die in ihren Klassen traditionsgemäß Bestseller-Rollen spielen, ist Opels repräsentative Admiral/Diplomat-Reihe weit weniger vom Glück begünstigt.
Dabei hatte diese Baureihe mit dem bereits im Jahre 1939 vorgestellten Opel Kapitän einen Vorläufer, der schon bald nach dem Krieg zu den beliebtesten Sechszylinder-Limousinen Europas avancierte. Das beste Jahr für die großen Opel-Modelle war 1960 mit annähernd 48.000 verkauften Exemplaren.
Dieses hervorragende Ergebnis konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich durch allzu häufige Modellwechsel und teilweise unverständliche Styling-Experimente das Ansehen der großen Opel-Modelle fortan zunehmend verschlechterte.
Um schließlich einem völligen Verkaufs-Verfall vorzubeugen, wurde 1969 die heutige Modellreihe aus der Taufe gehoben, die sich durch eine bis dahin nicht gekannte aufwendige Technik auszeichnete: neben der bereits zuvor bis zum 5,4-Liter-Achtzylinder ausgeweiteten Motoren-Palette erhielt das neue Modell ein Fahrwerk, das damals zum Besten überhaupt zählte. Eine teure Hinterachs-Konstruktion nach dem DeDion-Prinzip machte aus dem stets schwammig wirkenden Groß-Opel eines der fahrsichersten Autos dieser Klasse.
Aber schon bald zeigte sich, daß weder die technische Aufwertung noch die inzwischen geübte größere Modellkonstanz den ramponierten Ruf aufpolieren konnte.
Potente Opel-Kunden hatten sich längst der Konkurrenz aus Untertürkheim oder anderen Fabrikaten zugewandt – mit dem Resultat, daß die Stückzahlen in Rüsselsheim weit hinter den Erwartungen zurückblieben.
Heute, rund neun Jahre seit Produktionsbeginn dieser Reihe, ist es kein Geheimnis, daß die Tage der großen Opel-Modelle endgültig gezählt sind. Dennoch ist gerade jetzt – am Ende des langjährigen Reifeprozesses – die Frage nicht uninteressant, wie gut dies Autos noch in die Zeit passen und ob sich ihre Anschaffung lohnt.
Von den vier derzeit lieferbaren Modellen – Admiral, Diplomat, Diplomat E und Diplomat V8 – durchliefen deshalb der DM 27.600,-- teure Diplomat mit dem 140-PS-Vergasermotor und der DM 0.880,-- teure und 160 PS starke Einspritz-Diplomat das Testprogramm.
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Beim Umgang mit den ebenso großen wie gut ausgestatteten Limousinen wird schnell klar, daß diese Autos weit besser als ihr Ruf sind. Großzügige Platzverhältnisse im Innenraum lassen in Verbindung mit den bequemen, mit rutschfestem Cordstoff bezogenen Sitzen eine behagliche Atmosphäre aufkommen, die durch eine Reihe heute kaum mehr anzutreffender Details noch verstärkt wird. Da sind zum Beispiel die kurbelbetätigten Ausstellfenster und die separat zuschaltbare Fußraumbelüftungen, mit deren Hilfe das Wohlbefinden der Insassen an heißen Tagen beträchtlich gesteigert werden kann. Auch fehlt es nicht an ausreichenden Ablagemöglichkeiten oder an einem praktischen Einschlüssel-System. Andere Details lassen hingegen erkennen, daß der Diplomat-Entwurf schon ein gutes Jahrzehnt zurückliegt. So verlaufen beispielsweise die Automatikgurte nicht verdeckt in den Türholmen, die Instrumente sind nicht so gut ablesbar wie bei den moderneren Opel-Modellen, die Drucktasten-Schalter wurden beispielsweise unpraktisch placiert, und auch die glänzenden Zierlinien am Armaturenbrett wirken antiquiert. Andererseits bietet der Diplomat eine tadellose Sitzposition, bequemen Einstieg zu allen vier Plätzen und eine trotz der beachtlichen Außenabmessungen gute Übersichtlichkeit. Auch die serienmäßige Ausstattung zeigt sich auf der Höhe der Zeit und ist selbst modernster Konkurrenz gewachsen. Neben so zweckmäßigem Zubehör wie dem von innen einstellbaren Außenspiegel oder der Verbundglas-Frontscheibe mit integrierter Antenne weist der Diplomat so kostspielige Extras wie Servolenkung, Leichtmetallräder, innenbelüftete Bremsscheiben vorn, Halogen-Hauptscheinwerfer und einen Vinyl-Dachbezug auf. |
Der Diplomat E (mit Einspritzmotor) hat außerdem auch hinten belüftete Bremsscheiben sowie ein automatisches Getriebe.
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Auf den ersten Blick scheint der Diplomat sowohl mit dem 140 PS- als auch mit dem 160 PS-Triebwerk nicht schlecht motorisiert zu sein. Doch zeigt sich bei intensivem Umgang bald, daß nur das stärkere Einspritzaggregat gut mit dem knapp 1.600 kg wiegenden Auto harmoniert. Denn neben ansprechenden Fahrleistungen vermag es insbesondere auch jenes Maß an Kultiviertheit zu bieten, auf das man in so komfortabler Umgebung nicht verzichten möchte. Korrektes Start- und Kaltlaufverhalten sowie stabiler Leerlauf und saubere Gasannahme waren nur bei der Einspritzmaschine zu beobachten. Beim ebenfalls mit automatischem Getriebe kombinierten Vergasermotor störte vor allem, daß er beinahe regelmäßig beim Betätigen des Wählhebels stehen blieb. Außerdem wirkte die Vergasermaschine im gesamten Drehzahlbereich deutlich angestrengter als der Einspritzer. Daß allerdings auch der 160 PS-Motor nicht richtig befriedigen konnte, liegt weniger am Triebwerk als an der unverständlichen Gaspedalauslegung, die zu flach ist und außerdem ab der Kickdown-Position einen viel zu hohen Kraftaufwand erfordert. Die Vollgas-Stellung kann nur mit Gewalt erreicht werden, die Betätigung des Gaspedals wird dadurch verkrampft und die Fahrweise unnötig ruppig. Eine gute Note verdient sich der Diplomat bei der Geräuschentwicklung. Sie hält sich bei beiden Motoren nicht zuletzt wegen der spielfrei operierenden Ventilstößel in angenehm niedrigen Grenzen und auch die Windgeräusche sind selbst bei hohen Geschwindigkeiten gering. Zieht man schließlich noch die günstigeren Verbrauchswerte des Einspritzers ins Kalkül, so gibt es – abgesehen vom Preis – nichts, was unter dem Strich für den Vergasermotor sprechen würde.
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Die Fahreigenschaften können zweifelslos zu den stärksten Seiten des Diplomat gezählt werden. Die vordere Einzelradaufhängung sorgt in Verbindung mit der spur- und sturzkonstanten DeDion-Hinterachse für ein problemloses, in weiten Bereichen völlig neutrales Kurvenverhalten sowie für einen sauberen Geradeauslauf.
Durch Querstabilisatoren an beiden Achsen hält sich die Seitenneigung der Karosserie in Kurven in angenehm engen Grenzen, was ebenso wie die wirksame Unterdrückung des Bremstauchens durch die Anti-dive-Auslegung der Vorderachse erheblich zum guten Komfortbild des Diplomat beiträgt.
Am guten Komforteindruck ist natürlich auch die schluckfreudige Federung beteiligt, die – ohne ausgesprochen weich zu sein – nur wenige Störungen in die Karosserie gelangen läßt.
Sensible Fahrer spüren lediglich beim Überrollen kleiner, kurzer Unebenheiten, daß zwischen Fahrwerk und Karosserie weniger elastische Gummiteile eingebaut sind, als heute vielfach üblich ist.
Dem Fahrwerk ebenbürtig zeigten sich im Testbetrieb die Bremsen sowie die exakte, nicht zu leichtgängige Servolenkung, die das voluminöse Auto mühelos dirigierbar macht.
Zwangsläufig stellt sich beim Umgang mit dem Diplomat die Frage, warum dieses auch heute noch in Technik und Komfort zeitgemäße Auto in der Vergangenheit so glücklos operierte. Sicher ist daran das speziell an der Frontpartie etwas unbeholfen und schwerfällig wirkende Styling nicht ganz unbeteiligt. Mehr Schuld an der negativen Verkaufsentwicklung hatte jedoch das Unvermögen der Opel-Leute, ihrem Flaggschiff ein gutes Image zu geben. So wurde schließlich aus dem besten Opel ein erfolgloser Opel.