Opel Rekord C 1900 L

erschienen in der Auto Motor Sport vom 04.03.1967

Rekord für Anspruchsvolle

Lange war der Rekord das billigste Modell im Opel-Programm. Als 1,5-Liter kostete er nur wenig über DM 6.000,-- und führte unangefochten die Zulassungsstatistik in dieser Klasse an. Er war ein beinahe so guter Bestseller wie der Volkswagen.

Bei Opel wird man sich nach diesen Zeiten zurücksehnen. Wo sind sie geblieben? Neue Konkurrenten kamen: Der VW 1500, das erweiterte Programm von Ford, der Audi, der BMW 1500 / 1800. Opel mußte sich der ständigen Typenvermehrung anpassen, den Kadett herausbringen, den Rekord in verschiedenen Versionen anbieten. So einfach, wie in den ersten 10 Jahren nach dem Krieg ist die Sache nicht mehr - und auch nicht so einträglich. Die Dividenden, die das Opel-Werk damals nach Detroit zahlen konnte, werden heute trotz zahlenmäßig höherer Fertigung nicht mehr erreicht. Die aufgefächerte Produktion, deren Kapazität meist nicht voll ausgenutzt werden kann, kostet Geld.

Der Rekord rückte nach dem Erscheinen des Kadett immer weiter nach oben. Er wurde länger, er wurde breiter, schwerer und stärker. Und zugleich wurde er teurer. Das Modell 1957, das es nur als 1,5-Liter gab, kostete DM 6.260,--. Der heutige 1,5-Liter kostet in billigster Ausführung DM 7.590,--. Die teuerste Ausführung, der 1,9-Liter L viertürig, kommt auf über DM 9.000,-- und kostet soviel wie damals der Kapitän.

Der Opel Rekord von heute ist also ein "arrivierte" Fahrzeug: Anspruchsvoll in Form und Ausstattung, nicht mehr ganz billig in Festkosten und Verbrauch. Der 1,5-Liter-Motor ist zwar noch im Programm, vermag abermit 58 PS dem großen und über 1.000 kg schweren Wagen kein rechtes Temperament zu verleihen. Der 1,7-Liter 60 PS-Motor wurde neu ins Programm aufgenommen: Durch sein höheres Drehmoment ist er dem Wagengewicht besser gewachsen. Er kann mit Normalbenzin gefahren werden und hält ddurch die Betriebskosten niedrig. Befriedigend motorisiert ist der Rekord aber erst mit dem 1,7-Liter S (75 PS) und dem 1,9-Liter S.

Gemäßigtes Temperament

Die Motoren, die Opel erst kurz vorher neu herausgebracht hatte, wurden vom Vorjahrsmodell unverändert übernommen. Bei unserem Test mit dem 1,7-Liter S hatte sich gezeigt, daß Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit ungefähr gleichgeblieben waren. Anders jetzt beim 1,9-Liter: er war etwas langsamer als der Ende 1965 gemessene Wagen mit der alten Karosserie, aber dem gleichen Motor. Während der damalige 1900 auf 162 km/h kam, erreichte der jetztige nur 158 km/h. Die Beschleunigungswerte waren etwas ungünstiger, auch gefühlsmäßig empfanden wir den jetztigen 1900 als weniger lebendig.

Das kann damit zusammenhängen, daß Opel inzwischen kleinere Änderungen am Motor vorgenommen hat: er bekam verstärkte Pleuelstangen, und anscheinend wurde auch durch Änderungen an der Nockenwelle die Drehzahl wirksamer begrenzt - Maßnahmen, der der Lebensdauer zugute kommen, aber dem Temperament abträglich sind.

Vielleicht ist der Motor in Einzelfällen gefühllos überdreht worden, wodurch sich Opel zu solchen Vorkehrungen gezwungen sah.

Die Vorteile der obenliegenden Nockenwelle, also hohe Leistung bei hoher Drehzahl, kommen in der jetztigen Auslegung nicht zur Geltung.

Weitere Gründe für das etwas zurückgegangene Temperament dürften in dem höheren Gewicht und in der veränderten Karosserieform liegen.

Zwar vermögen heutige Großserienhersteller Erstaunliches in der Kunst zu vollbringen, Autos größer zu machen, ohne daß sie dabei schwerer werden,aber rund 60 kg sind beim letzten Rekord-Modellwechsel doch hinzugekommen.

Die Karosserie ist breiter geworden und dürfte im Luftwiderstand wohl kaum günstiger sein als die frühere.

So kann es sein, daßmancher Besitzer des neuen Rekord 1900 den gleichen Wagen alten Typs auf der Autobahn davonziehen lassen muß. In der Beschleunigung fällt der Unterschied weniger auf, da Opel die Gewichtszunahme durch eine Änderung der Antriebsübersetzung ausgeglichen hat: statt der früheren 3,67 ist jetzt eine Übersetzung von 3,89 eingebaut.

Das bringt im 4. Gang nur ein geringfügig öheres Drehzahlniveau mit sich, so daß die Übersetzungsänderung keinen Nachteil für die Lebensdauer der Motoren bedeutet. Ohnehin kann man nach unseren Beobachtungen den neuen Motoren in dieser Hinsicht ebensoviel zutrauen wie den alten.

Die Skepsis mancher Opel-Fahrer, die noch immer den früheren, konstruktiv veralteten und leistungsmäig unbefriedigenden Motoren nachweinen, ist unberechtigt. 

Daß der Verbrauch heute höher liegt als einst, ist ebenfalls weniger den Motoren als den ständigen Vergrößerungen und Gewichtserhöhungen zuzuschreiben. Das "wuchtige und repräsentative" Aussehen kostet eben Geld - nicht nur bei der Anschaffung, sondern auch im Fahrbetrieb. 

Während früher die Verbrauchswerte eines Opel Rekord um die 10-Liter-Grenze streuten, fangen sie heute bei 11 Liter an und reichen bis 14 Liter und darüber. Ein wenig ist daran vielleicht das zähe Ansprechen des Motors beim Beschleunigen beteiligt; es verleitet dazu, das Gaspedal immer ein wenig tiefer herunterzudrücken als eigentlich notwendig wäre. Diese "Faulheit" ist eine gemeinsame Eigenschaft aller Opel-Motoren. Vielleicht hängt sie mit der sehr intensiven Dämpfung des Ansauggeräusches zusammen, die den Luftdurchsatz behindert. Aber es gibt auch Motoren, die im Ansaugbereich leise sind und trotzdem gut auf das Gaspedal ansprechen.

Das geringe Geräsuch gehört im übrigen zu den angenehmen Seiten des Motors. Auch die Vibrationen werden gut gedämpft; bei hohem Dauertempo sind die vom Motor ausgehenden Belästigungen gering. Die Windgeräusche stören bei geschlossenen Fenstern ebenfalls wenig, Getriebe und Kraftübertragung (mit geteilter Kardanwelle) sind kaum hörbar. In dieser Hinsicht ist der Opel wirklich ein kultiviertes Auto geworden.

Was den 1,9-Liter gegenüber dem 1,7-Liter auszeichnet, ist einmal die höhere Gesamtleistung, die sich besonders in der Spitze bemerkbar macht, und zum zweiten das bessere Durchzugsvermögen im mittleren und unteren Drehzahlbereich. Er wird mit dem Gewicht des Wagens besser fertig - das zeigen auch unsere Elastizitätsmessungen, bei denen die Beschleunigung aus 40 km/h im 4. Gang gemessen wird. Das erwähnte zähe Ansprechen auf Gaspedalbewegungen wirkt sich hierbei nicht aus, da mit gleichbleibend voll durchgetretenem Gaspedal gefahren wird. Hier die Vergleichswerte:

  1700 S 1900 S
40 - 60 km/h
40 - 80 km/h
40 - 100 km/h
40 - 120 km/h
40 - 140 km/h
6,2 s
12,8 s
20,2 s
30,1 s
48,4 s
5,6 s
10,9 s
17,3 s
25,3 s
37,1 s

Auf keinen Fall ist der 1,9-Liter für den Opel Rekord ein "zu großer" Motor. Für den größer gewordenen Wagen ist der größer gewordene Motor genau richtig.

Mit Automatik

Unentbehrlich wird die höhere Elastizität, wenn man mit automatischem Getriebe fährt. Das Viergang-Getriebe, für das man nach wie vor DM 95,-- Aufpreis bezahlen muß, erlaubt bei den kleineren Motorversionen eine ausreichende Anpassung der Motorleistung an die Fahrbedingungen. Beim automatischen Getriebe ist man weitgehend darauf angewiesen, daß Motor, Drehmomentwandler und Getriebeautomatik von selbst die besten Voraussetzungen für Beschleunigung und Bergsteigfähigkeit schaffen. Die Opel-Atomatik hat nur zwei Vorwärtsgänge, von denen der untere bis maximal 85 km/h benutzt werden kann.

Er läßt sich in Fahrstellung (Wählhebel auf "D") durch "Kickdown", also volles Durchtreten des Gaspedals, "holen" und kann außerdem durch Einlegen der L-Stellung fest eingerückt werden. Über 85 km/h ist man aber ausschließlich auf den oberen Gang und die stufenlos drehmomentverstärkende Wirkung des Wandlers angewiesen.

Wir beschäftigten uns mit der Opel-Automatik schon einmal in unserem Automatik-Vergleichstest, wo sie unerwartet günstig abschnitt. Es zeigte sich, daß der Drehmomentwandler die fehlenden Übersetzungsstufen recht gut ersetzen konnte, weil der Motor ihm ein  im gesamten Drehzahlbereich relativ gleichbleibendes Drehmoment liefert. Bei weniger elastischen Motoren dagegen (Ford 20m) konnten auch drei Übersetzungsstufen plus Drehmomentwandler kein befriedigendes Ergebnis bieten. Die Opel-Automatik ist zwar imn ihrem Aufbau primitiver als andere vergleichbare Getriebe, aber sie ist, als Einheit mit dem 1,9-Liter-Motor betrachtet, doch eine durchaus akzeptable Lösung. Es war ein vernünftiger Entschluß von Opel, die Automatik außer mit den Sechszylindern nur mit dem 1,9-Liter Vierzylinder, also nicht mit den kleineren Versionen, zu kombinieren.

Die Annehmlichkeiten der Automatik zeigen sich am meisten im dichten Verkehr. Hier ist sie dem Schaltgetriebe in jeder Hinsicht überlegen: Sie macht nicht nur das Kuppeln und Schalten überflüssig, sondern paßt sich auch schneller den Fahrbedingungen an. Während sonst beim Anfahren aus dem Stand und Beschleunigen bis 60 kmh viermal geschaltet werden muß, was jedesmal einen Zeitverlust bedeutet, vollzieht sich dieser Vorgang mit der Automatik auch beim ungeschicktesten Fahrer "nahtlos": man braucht nichts weiter zu tun als Gas zu geben. Wenn die Automatik schaltet, dann tut sie das ohne Zugkraftunterbrechung und sehr weich. Im unteren Geschwindigkeitsbereich merkt man das Schalten - etwa beim Gaswegnehmen nach dem Start an der Ampel - kaum.

Bei hohem Tempo - etwa wenn man nach dem Anfahren mit Vollgas auf 85 km/h hochbeschleunigt - ist der Ruck nicht stärker als beim Schalten von Hand. Normalerweise genügt es, in D-Stellung zu fahren. Die L-Stellung braucht man nur an Steigungen, wo es stören würde, daß die Automatik bei jedem Gaswegnehmen hochschaltet, und auf entsprechenden Gefällen

Als ungenügend erwies sich die Sperre des Rückwärtsganges: man kann mit dem Wählhebel leicht über "N" hinaus in die Rückwärtsstellung geraten, wenn man von "L" in "D" schaltet. Das ist sehr gefährlich, weil die Hinterräder dann sofort blockieren und ausbrechen. Es sollte dafür gesorgt werden, daß Rückwärts- und Parkstellung während der Fahrt nicht eingelegt werden können.

Durch den Flüssigkeits-Drehmomentwandler, der einen geringeren "Wirkungsgrad" hat als ein normales Schaltgetriebe, sind ein geringer Leistungsverlust und eine entsprechende Verbrauchserhöhung bedingt. Unsere Beschleunigungswerte waren um ca. 15% schlechter, wozu man aber sagen muß, daß die Beschleunigungsmessung mit Schaltgetriebe ein rennmäßiges Anfahren und Schalten erfordert, während es bei der Automatik genügt, einfach das Gaspedal niederzutreten. Die mit Automatik gemessenen Werte sind sozusagen "praxisnäher". In der Höchstgeschwindigkeit muß man mit einem Verlust von ca. 3 - 5 km/h gegenüber der Normalausführung rechnen; bei unseren Testwagen betrug der Unterschied allerdings nur 1,5 km/h, weil offensichtlich der Motor des Automatik-Wagens leistungsmäßig etwas besser war.

Solche "Streuungen" sind bei Großserienmotoren oft festzustellen. DerVerbrauch lag ca. 1,5 - 2,5 Liter/100 km höher; diese Spanne liegt bei allen Wandler-Getrieben gleich.

Stabilisator und harte Federn

Wir fuhren den 1900 mit Querstabilisator und ärteren Federn. Diese Ausrüstung ist serienmäßig lieferbar und kostet DM 26,--. Viele Opel-Fahrer werden es gar nicht wissen, was ein Querstabilisator ist und wozu man ihn braucht. Daß Opel ihn anbietet, ist ein Ergebnis des "Sport-Trends", denn in Wettbewerbswagen pflegt man auch hinten Querstabilisatoren einzubauen (vorn haben ohnehin die meisten Autos einen). Querstabilisatoren sind Metallstäbe, die beim Kurvenfahren durch die sich zur Seite neigende Karosserie in sich verdreht werden. Sie wirken dadurch der Seitenneigung entgegen und beeinflussen das Kurvenverhalten.

Untersteuernde Wagen wie der Rekord werden durch hinten eingebaute Querstabilisatoren neutraler. Beim Rekord ist das Vorhandensein des hinteren Stabilisators bei direktem Vergleich daran zu bemerken, daß der Wagen etwas stärker, man könnte fast sagen "nervöser", auf Lenkradbewegungen reagiert und im urvengrenzbereich fast gar nicht mehr untersteuert, sondern eher hinten als vorn wegzugehen beginnt. Das Fahrverhalten ist wie bei der normalen Ausführung gutmütig: Der Wagen läßt sich mühelos kontrollieren und bremst sich bei hoher Kurvengeschwindigkeit weitgehend von selbst ab.

DerQuerstabilisator wirkt sich also hauptsächlich in einer etwas besseren Handlichkeit bei schnellem Kurvenfahren aus. Der Unterschied ist jedoch gering, offensichtlich hat man keinen sehr starken Querstabilisator verwendet. Ähnlich verhält es sich mit den härteren Federn. Sie sind nur im direkten Vergleich als härter zu erkennen, bieten aber in jedem Fall noch mehr Komfort als die harten Blattfedern des früheren Modells. Querstabilisator und Federn machen den Rekord also um eine Nuance "sportlicher", ohne ihn jedoch in seinem Gesamtcharakter zu verändern. Da sie nicht viel kosten, ist ihr Einbau empfehlenswert. Wer aber den Rekord ernsthaft für Sportzwecke herrichten will, wird zumindest außerdem noch härtere Stoßdämpfer benötigen.

Die serienmäßigen Stoßdämpfer und die Gesamtabstimmung vermochten auch in der härteren Ausführung nicht zu befriedigen. Auf guter Straße liegt der Wagen ausgezeichnet, auf schlechter dagegen tanzt er mit der Hinterachse beträchtlich mehr als das frühere Modell mit Blattfedern. Der Gewinn an Federungskomfort wurde gegen einen Verlust an Straßenlage eingetauscht - diese Tatsache ist nicht zu umgehen.

Die neue Hinterachsaufhängung mit Längslenkern, Panhardstab und Schraubenfedern ist also noch kein voller Erfolg. Der Panhardstab macht sich beim Fahren auf Straßen mit langen, ungleichmäßigen Bodenwellen ("bombierten" Straßen) dadurch bemerkbar, daß er seitliche Stöße auf den Wagen überträgt und damit den Geradeauslauf verschlechtert. Bei der sonst guten Richtungsstabilität beeinträchtigt diese Erscheinung jedoch die Fahrsicherheit nicht ernsthaft.

Fazit:

Im Vergleichstest der Mittelklassewagen hatte sich gezeigt, daß der Rekord trotz seinem langen Radstand und der großen Außenmaße innen nicht geräumiger ist als äußerlich kleinere Konkurrenten. Das hängt damit zusammen, daß der Raum zwischen den Achsen nicht voll für den Innenraum in Anspruch genommen wurde - der optische Gesichtspunkt einer langen Motorhaube hatte Vorrang.

Ein anderer bedauerlicher Nachteil der Karosserie liegt in dem nach oben verlegten Rückfenster, das es fast unmöglich macht, beim Rangieren die hinteren Wagenecken zu sehen. Im Innenraum vermißt man Ablagemöglichkeiten, und die Sitzverstellung ist während der Fahrt schlecht erreichbar.

Dem stehen Vorzüge gegenüber: der enorm große Kofferraum, die qualitativ gute Ausstattung, die ausgezeichnete Heizungs- und Belüftungsanlage. Unbestreitbar stellt das jetztige Modell, besonders mit 1,9-Liter-Motor und Automatik, einen Höhepunkt in der Entwicklung der Opel-Rekord-Reihe dar. Einen Höhepunkt auch im Preis - das ist nicht mehr der billige Opel für Jedermann. Es ist der Rekord für Anspruchsvolle.

Vorzüge Nachteile
  • leiser und elastischer Motor
  • guter Federungskomfort
  • gut ausgestattete Karosserie, geräumiger Kofferraum
  • leichte Bedienbarkeit, zusätzliche Vereinfachungsmöglichkeit durch automatisches Getriebe
  • Hinterachse auf schlechter Straße unruhig, besonders bei Nässe
  • zähes Ansprechen des Motors auf Gaspedalbewegungen
  • Unzureichende Sperre des Rückwärtsganges beim Automatikgetriebe