Opel Ascona B 400 Gruppe 4

erschienen in der Auto Motor Sport vom 27.02.1980

 

Born to be wild

Opels neue Waffe für Rallye-Siege: Ascona 400. Es war einmal ein Rallye-Kadett, der sollte im November 1977 den Weltmeisterschaftslauf des Royal Automobile Clubs in England bestreiten. Kadett und Besatzung waren vom deutschen Opel-Werk entsandt worden, rund 2.000 Kilometer durch englische Parks und Wälder sollten gemeistert werden - in möglichst schneller Gangart.

Europameister im Ascona 1974: Röhrl / Berger Europameister im Ascona 1979: Kleint / Wagner

Das Gefährt hingegen zeigte sich äußerst bockig. Der Motor mochte nicht brüllen, sondern brachte nur ein wehmütiges Blubbern zuwege. Den Start absolvierte das gelb-schwarze Mobil, wie alle Konkurrenten, im Schritttempe; seine Schwäche fiel also nicht weiter auf. Wenige Kilometer später war die Reise allerdings zu Ende: Ausfall mit technischen Gebrechen.

Zwei Jahre und zwei Monate später, 2.500 Kilometer vom Schauplatz des Opel-Abgesangs anno 1977 entfernt: Der Schwede Anders Kulläng sitzt in einem Werks-Ascona aus Rüsselsheim, es bleiben noch zwei letzte Sonderprüfungen zu fahren. Kulläng macht Jagd auf Platz drei, nach 3.000 Kilometern Rallye-Route durch Eis und Schnee, bergauf, bergab, bei Nebel und Regen.

Kulläng ist cool und seine Opel-Truppe super: Ihr zweiter Ascona mit Joachim Kleint liegt auf Platz acht, die Mechaniker-Crew ist frischer als bei allen Rallyes zuvor: Es gab für sie während 3.000 Kilometern nichts zu schrauben - sieht man von den Radwechseln ab.

Viel hat sich im  Opel-Sport geändert, seit der unglückselige Kadett 1977 in England über die Startrampe blubberte. Die Truppe hatte bereits 1979 angedeutet, daß sie sportlich wieder auf dem laufenden ist. Opel gewann die Rallye-Europameisterschaft mit Ascona, Joachim Kleint und Beifahrer Gunther Wanger.

Fünf Dienstjahre waren vorausgegangen, mit niederschmetternder Bilanz. Nachdem Walter Röhrl und Jochen Berger die Europameisterschaft 1974 für die Opel-Bauer gesichert hatten, ging nichts mehr voran. Bei zehn Einsätzen sieben Ausfälle zu verbuchen, wurde für den Opel-Sport zum Alltag.

Doch das Desaster hatte tröstliche Folgen. Man entschied, endlich Nägel mit Köpfen zu machen, reorganisierte die Sport-Abteilung, krönte den englischen ex-Rallye-Fahrer Richard Anthony Fallro zum Chef in Sachen Sport, erkor Diplomingenieur Erich Koch, 37, zum Rallyewagen-Konstrukteur und betraute ex-Röhrl-Beifahrer Jochen Berger, 34, mit den organisatorischen Arbeiten im Rallye-Geschäft. Helmut Bein, 49, der bisherige Chef im Opel-Sport, wurde mit neuen Aufgaben betraut und übernahm die Privatfahrer-Betreuung sowie den Sportteile-Service.

Daß die neuaktivierte Opel-Sportmannschaft ernst machen wollte, wurde weitgehend mit einer grundlegenden Entscheidung demonstriert: Ein Sportauto sollte konstruiert werden, basierend auf dem Typ Ascona, gebaut in einer 400er-Serie, die das Sportgesetz für derartige Wagen vorschreibt, Opels oft erprobter und mittlerweile über ein halbes Jahrzehnt alter Vierventil-Motor sollte dabei zu neuen Ehren kommen: Er wurde auf 2,4 Liter Hubraum gebracht.

Einmal war die neue Kraftmaschine bereits am Start: Fahrer Kulläng und Kleint debütierten bei der Rallye Monte Carlo und sicherten bei der Premiere den Opel-Sportlern einen nie erwarteten Erfolg: die Plätze vier und acht für die Neukonstruktion.

Techniker Koch: "Wir haben drei Basis-Varianten des Autos für die Weltmeisterschaft." Die erste Variante ist ein reines Asphalt-Auto, das fast die Charakteristik eines Renntourenwagens hat. Die zweite Version wird so präpariert, daß der Wagen ideal für europäische Schotter-Rallyes ist, die dritte soll für Brutal-Rallyes gebaut werden, für materialmordende Schlachten wie die Safari-Rallye in Kenia oder die Bandama-Rallye an Afrikas Elfenbeinküste.

Noch produzieren die beim Motorenbauer Cosworth in England präparierten Opel-Triebwerke 240 PS mit Gemischaufbereitung durch zwei 48er-Weber-Doppelvergaser.

Ende März sollen dank Benzineinspritzung und kleinerer Modifikationen 270 PS zur Verfügung stehen, was den Opel-Neuling Ascona 400 zu einem der leistungsstärksten Teilnehmer der Rallye-Weltmeisterschaft machen wird.

Koch: "Wir wollen mit 12 Mann Besatzung vom Februar bis zum Jahresende 20 solcher Autos präparieren - eine Heidenarbeit, wenn man bedenkt, daß die gleiche Gruppe nebenher noch die Einsätze bestreiten muß."

Bevor die Rüsselsheimer Schrauber ans Werk gehen, erfährt jede Ascona-Rohkarosserie eine eingehende Aufbau-Kur bei der Firma Matter in  Graben-Neudorf bei Bruchsal.

Matter, bisher hauptsächlich als Produzent von Überrollbügeln und -käfigen bekannt, verstärkt die Karossen binnen zwei Wochen an allen wichtigen Teilen.

Gleichzeitig versieht Matter die künftigen Rallye-Gefährte mit Überrollkäfig und einem 100-Liter-Treibstofftank. Ebenfalls in seiner Werkstatt wird das neu entwickelte Armaturenbrett installiert, inklusive Porsche-Drehzahlmesser, der den Opel-Männern am geeignetsten erschien.

Das komplette Armaturenbrett ist mittels zweier Schnellverschlüsse abnehmbar, ein wichtiger Zeitgewinn, falls im Einsatz die hinter der Abdeckung angebrachte Bordelektrik-Zentrale Schwierigkeiten machen sollte.

Bevor die Opel-Mechaniker den Rallye-Ascona nach heutigem Standard aufbauen konnten, war intensive Ingenieurs-Arbeit vonnöten.

Das Fahrwerk wurde neu erdacht. Die Vorderräder sind an doppelten Querlenkern aufgehängt, die Hinterräder an einer Starrachse mit vier Längslenkern und Panhardstab, der die Seitenführung übernimmt - ähnlich solide wie die als "Fünflenker-Achse" bezeichnete Aufhängung des Commodore.

Zehn Achsantriebs-Übersetzungen stehen den Opel-Männern für den Einsatz zur Verfügung.

Die kürzeste macht das Auto nur 156 km/h schnell, die längste reicht für eine Endgeschwindigkeit von 220 km/h.

Das so genannte "Schotter-Auto" für die Portugal-Rallye (3. bis 9. März 1980) präsentierte Opel für Auto Motor Sport.

Das 240 PS starke Auto absolvierte den Beschleunigungstest sehr eindrucksvoll. Mit zwei Mann Besatzung 1.260 kg schwer, erreichte der Ascona 400 die 100 km/h-Marke nach 6,7 Sekunden.

Der Weltmeister-131 von Fiat benötigt dafür bereits eine halbe Sekunde mehr.

Aber nicht das Beschleunigen ist die eigentliche Stärke der Sport-Neuschöpfung aus Rüsselsheim. Das Fahren im harten Gelände zeigt deutlicher, daß Opel einen großen Schritt nach vorne getan hat. Der Motor beweist dabei einen bulligen Charakter und zieht bereits unter 3.000 U/min kräftig an. Erlaubt sind 7.500 U/min, das maximale Drehmoment wird bei 5.500 U/min mit 287 Nm erreicht.

Mit seinen schmalen 165er-Reifen ausgerüstet, läßt sich der Opel steuern, als wäre er mit einer Servo-Lenkung ausgerüstet. Anders Kulläng und Joachim Kleint haben 1980 ein ideales Arbeitsgerät in Händen, um ihren Ruf als spektakuläre Fahrer zu verteidigen: Der Ascona kann in wahrhaft beängstigenden Driftwinkeln um Schotterkurven manövriert werden, er bleibt dabei so gutmütig, daß es fast ausgeschlossen ist, beim Überschreiten eines Limits einen Dreher zu bewerkstelligen. Ähnlich problemlose Fahreigenschaften hat nur mehr der aus dem Wettbewerb gezogene Werks-Escort.

Bei Opels nächstem Rallye-Auftritt in Portugal werden die Ascona-Sportgefährte sowie ihre Piloten und Betreuer vor eine schwierige Aufgabe gestellt:

Die gesamte Weltelite wird vertreten sein, um den Portugal-Sieg zu ergattern.